Demut als Tugend – Interview von Regina Mittenhuber

Der Begriff Demut löst unterschiedliche Assoziationen aus – je nachdem, in welchem Kontext er verwendet wird. So scheint eine demütige Führungskraft so gar nicht zu der Vorstellung eines erfolgreichen Managers zu passen – jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Dr. Franziska Frank befasst sich mit dieser Thematik gerade besonders intensiv, denn sie arbeitet an einem Buch, in dem sie nicht nur den Demutsbegriff bei Führungskräften näher untersucht, sondern auch den aktuellen Stand der Forschung analysiert. Für mich ein willkommener Anlass für einen Austausch, bei dem auch ich über mein eigenes Verständnis von Demut nachdenke. Anders als sonst habe diesmal nicht ich die erste Frage gestellt, sondern meine Interviewpartnerin.

Interview von Regina Mittenhuber auf Ihrem Blog – Vertriebstext

Frau Frank, das Thema „Demut bei Führungskräften“ ist jetzt ja ganz besonders aktuell…ich glaube, jetzt ist für so manch einen die Zeit gekommen, sich in Demut zu üben…
Interessant, dass Sie das sagen – was ist für Sie Demut?
 
Für mich ist Demut das Bewusstsein, nicht alles steuern und kontrollieren zu können. Es gibt Dinge, auf die kann ich keinen Einfluss nehmen. Und ich finde es auch wichtig, nicht immer Einfluss nehmen zu wollen, sondern auch Dinge bewusst geschehen zu lassen. Es ist nicht immer nötig und auch nicht gut, einzugreifen. Manchmal ist es besser, sich zurückzunehmen. Das zu können – im richtigen Moment loszulassen und keinen Einfluss zu nehmen – das ist für mich Demut. Ob es wirklich die richtige Entscheidung war, sieht man natürlich immer erst hinterher. Aber das ist es eben – Demut bedeutet, jederzeit um die eigene Begrenztheit zu wissen. Ich finde, dass sich viele Menschen überschätzen. Und sie überschätzen auch ihr eigenes Urteilsvermögen. Für mich ist Demut etwas Positives – eine demütige Führungskraft ist besonnen und verantwortungsvoll. Doch jetzt interessiert mich natürlich, was Sie bei Ihren Recherchen herausgefunden haben und was die Forschung dazu sagt.
Fälschlicherweise wird der Begriff Demut oft mit Unterwürfigkeit und zu starker Bescheidenheit verknüpft. Nietzsche sprach bei Demut gar von „Sklavenmoral“. Also etwas, das man keinesfalls mit einer erfolgreichen Führungskraft in Verbindung bringt. Seit einigen Jahren wird der Begriff Demut bei Führungskräften allerdings vollkommen anders unterlegt. Es geht dabei um vier Elemente. Erstens heißt Demut, die eigenen Stärken und Schwächen zu erkennen. Also sich wirklich so zu sehen, wie man ist. Demut bedeutet damit nicht mehr, aber eben auch nicht weniger von sich zu denken, als man ist und kann. Zweitens geht es um Wertschätzung für andere und was diese leisten. Drittens steht demütig sein für permanente Offenheit und Lernbereitschaft. Und viertens weiß die demütige Führungskraft, dass es ein größeres Ganzes gibt. Eine demütige Führungskraft handelt nicht für das eigene Ego, sondern sieht das Übergeordnete, dessen Teil sie ist. Dieses Übergeordnete kann die Abteilung, das Unternehmen oder gar die Welt sein.
 
Das gefällt mir. Damit drückt Demut ja auch eine offene und wertschätzende Geisteshaltung aus, die Raum gibt zur Entfaltung. Autoritäre Führungsstile verhindern Demut und jegliche Kreativität. Mitarbeiter, die autoritär und mit Druck geführt werden, können nicht frei denken und auch nicht ihr Potenzial entfalten. Sie bleiben hinter dem zurück, was sie leisten könnten.
Demut ist in der Tat eine zugrundeliegende Tugend und kein eigener Führungsstil. Eine demütige Führungskraft stellt sich auf die Mitarbeiter und deren Bedürfnisse ein, ohne die Interessen des Unternehmens (oder auch die eigenen) zu vergessen. Demütige Führungskräfte wollen, dass sich die Mitarbeiter entfalten können. Dazu sind sie bereit, das passende Führungsinstrumentarium einzusetzen. Das kann also auch bedeuten, dass eine demütige Führungskraft bei einem Mitarbeiter, der es braucht, mit mehr Ansagen arbeitet – also kurzzeitig fast autoritär führt. Da aber der Mitarbeiter im Fokus steht und nicht, was der Führungskraft leichter fällt, bringt sie dann Schritt für Schritt den Mitarbeiter in die eigene Verantwortung. Eine demütige Führungskraft passt ihr Führungsverhalten immer wieder unter der Maßgabe an, dass es das Ziel ist, das Beste aus dem Mitarbeiter hervorzuholen.
 
Dann nehmen Mitarbeiter demütige Führungskräfte sicherlich positiv war?
Grundsätzlich werden demütige Führungskräfte positiv wahrgenommen. Punkt! Insbesondere auf der Beziehungsebene. Allerdings werden sie, da sie ihren Mitarbeitern mehr Raum geben, im Vergleich zu anderen Führungskräften als weniger „agentisch“, also als weniger agierend gesehen. Das entspricht ja auch der Wahrheit, weil eine demütige Führungskraft weniger durch sich selbst, als durch andere handelt.
 
Ist das möglicherweise ein Dilemma? Inwieweit lässt sich die Fähigkeit zu agieren mit Demut zusammenbringen?
Demütige Führungskräfte agieren ja auch. Und zwar, indem sie eine Atmosphäre der Offenheit schaffen, in der sie auch eigene Schwächen zeigen und Fehler zugeben. Da gewinnen die Mitarbeiter Vertrauen, sie lernen, offen zu sprechen und Dinge auszuprobieren. Die Forschung zeigt in der Tat, dass demutsvoll geführte Teams innovativer, mutiger und leistungsfähiger sind. Die Mitarbeiter übernehmen mehr Verantwortung. Das heißt, die Führungskraft ermöglicht eigentlich erst das erfolgreiche Handeln der anderen – sie ist also Katalysator für das Agieren.
 
Das klingt jetzt so, als habe eine demütige Führungskraft keinerlei Bedürfnis, sich selbst und die eigenen Leistungen in den Vordergrund zu stellen – das ist vermutlich auch eine Frage der inneren Abgrenzung?
Manche Führungskräfte wollen von allen gemocht werden – und damit haben sie ein Problem. Das beschränkt sie in ihrem Handeln und führt auch leicht zu Kränkungen. Einer demütigen Führungskraft liegt dieser Fokus auf sich selbst fern. Sie wählt bewusst aus, von was sie angetrieben wird, ruht in sich und hat das Interesse der Mitarbeiter und des Unternehmens im Auge, ohne sich selbst dabei zu vergessen. Sie hält es folglich auch aus, nicht gemocht zu werden – wie man es als Elternteil ja auch aushält, nicht gemocht zu werden, wenn man das Kind an die Hausaufgaben erinnert oder es ohne Kränkung hinnimmt, dass das Kind einen gar nicht braucht, weil es seine Projekte selber erfolgreich durchziehen kann. Wer das große Ganze im Blick hat, kann demütig sein und ist dadurch ein Quell von Empowerment und psychologischer Sicherheit. Bislang geht es der Führungskraft leider oft primär um die eigene Person – das ist Egobefriedigung, die oft ungesunde Auswirkungen auf Mitarbeiter und Unternehmen hat. Damit wären wir beim ungesunden Narzissmus. Eine gute, demütige Führungskraft hat weder diesen, noch stellt sie ihr Können in den Schatten, denn auch das ist letztlich Ausdruck eines Egoproblems. Sie kann sich abgrenzen und ist doch für andere da.
 
Wenn es jemandem um die Sache geht, dann ist er doch automatisch nicht mehr von den eigenen Egobedürfnissen getrieben, sondern er hat ein höheres Ziel…
Genau, unter dieser Voraussetzung ist es eben auch möglich, zu den eigenen Stärken, aber auch zu den eigenen Schwächen und Fehlern zu stehen. Von vielen Führungskräften fällt laut eigenen Aussagen eine Last ab, wenn sie zu ihren Mitarbeitern sagen dürfen: „Das weiß ich jetzt noch nicht. Dazu möchte ich gerne gemeinsam mit Ihnen Ideen sammeln.“
 
Gerade jetzt wissen ja viele Führungskräfte nicht, wie es weitergeht – viele stehen vor völlig neuen Herausforderungen…
Da ist es besonders wichtig, die eigene Person beiseite zu lassen, also sich nicht auf sich und die eigenen Bedürfnisse zu konzentrieren, sondern sich den Mitarbeitern und der Sache zu widmen. Es gab ein Interview mit Jens Spahn, in dem er gefragt wurde, wie es ihm geht – und er hat geantwortet, dass er gar keine Zeit habe, darüber nachzudenken. Das fand ich eine wirklich kluge Antwort. Es geht im Moment einfach nicht um ihn oder um mich oder um Sie persönlich.
 
Was glauben Sie denn, wie es mit der Demut nach Corona aussehen wird? Werden wir demütiger – vor allem auch in der Wirtschaft?
Da bin ich eher skeptisch. Ich glaube, dass wir ziemlich schnell wieder in angestammte Muster zurückkehren werden. Denn wie schon gesagt – Demut ist keine Eigenschaft, sondern eine Tugend. Übt man sie nicht, geht sie schnell wieder verloren. Andererseits haben wir durch Corona eine wunderbare Evidenz dafür, wie schnell sich Führungskräfte an neue Situationen anpassen können. Wie sie Mitarbeiter, Kollegen, Kunden und das größere Ganze besser wahrnehmen können. Daher habe ich große Hoffnung für erfolgreiche Interventionen nach Corona, die in den Unternehmen – mit Bezug auf die soeben gemachten Erfahrungen – ganz bewusst Demut fördern. Mit den vielen messbar positiven Folgen, welche die Forschung für die Mitarbeiter, die Organisation sowie die Führungskraft selbst dargelegt hat.